Worst Practice bei Adidas

 

PR-Debakel, Blamage, Desaster

Diese Begriffe verbinden sich seit einigen Tagen mit dem Sportartikelhersteller Adidas. Der hatte Ende März versucht, ein Notfall-Gesetz der Bundesregierung auszunutzen und aufgrund der Corona-Pandemie die Mietzahlungen für seine Läden auszusetzen. Ein kommunikativer Megafail mit noch nicht absehbaren Folgen.

Adidas hat es tatsächlich geschafft, weite Teile seiner Stakeholder gegen sich aufzubringen: Kunden, Politiker, Medien, die Öffentlichkeit. Spitzenkräfte der Bundesregierung wie Olaf Scholz, Christine Lambrecht (beide SPD) und Andreas Scheuer (CSU) rügten öffentlich das unsolidarische Verhalten des DAX-Unternehmens. Der Hashtag #boykottadidas trendete.

Auch auf Facebook und Instagram machen sich bis heute tausende empörte Menschen Luft. Und natürlich haben sämtliche Massenmedien – vom „Handelsblatt“ bis zur „Bild“-Zeitung, von der „Tagesschau“ bis n-tv das Thema aufgegriffen – zunächst mit Kommentaren zum eigentlichen Stein des Anstoßes, später mit Beiträgen zum missglückten Krisenmanagement.

“…Adidas & Co. sollten sich auch nicht täuschen. Wer glaubt, die allgemeine ‚Rette sie, wer kann‘-Stimmung unauffällig ausnutzen zu können oder darauf setzt, dass der Verbraucher die schicken Produkte aus dem eigenen Haus bald wieder bedenkenlos kaufen wird, könnte sich verrechnen…” warnte etwa Wirtschaftsressortleiter Marc Beise in der „Süddeutschen Zeitung“.

Am 1. April hat der Konzern sich öffentlich entschuldigt. Damit ist zwar endlich ein wenig Ruhe in die Diskussion gebracht worden. Allerdings viel zu spät.

Adidas liefert ein veritables „Worst-Practice“-Beispiel der Krisenkommunikation. Welche Fehler hat das Unternehmen gemacht und wie hätte man das Schlimmste womöglich verhindern können?

Eine Analyse in vier Thesen

Der Shitstorm war vorhersehbar

Am 11. März 2020 verkündet Adidas „starke Ergebnisse“ für das Geschäftsjahr 2019. Unter anderem werden ein Gewinn von knapp zwei Milliarden Euro, liquide Mittel von rund 900 Millionen Euro und eine geplante Dividendenerhöhung um satte 15 Prozent mitgeteilt.

Und nur zwei Wochen später sieht sich derselbe Konzern nicht in der Lage, die Mieten für seine Läden fristgerecht zu bezahlen? Dass so ein Narrativ nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand. Noch dazu in der vorherrschenden Ausnahmesituation, die von jedem Bürger, jeder Bürgerin Solidarität und Hintanstellung der eigenen Bedürfnisse verlangt.

Wer hoch steigt, fällt tief

Adidas ist nicht das einzige Großunternehmen, das die Sondergesetzgebung des Bundes nutzen wollte. Auch Deichmann, H&M, Puma und andere kündigten Mietstundungen an. Sie alle ernteten Kritik dafür – doch der Löwenanteil des Shitstorms ergoss sich nur über Adidas. Warum?

Die Antwort ist eigentlich ein Kompliment: Nirgendwo wiegt die persönliche Enttäuschung der Menschen schwerer. Noch vor wenigen Wochen wurde Adidas von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), der „Wirtschaftswoche“, ProSiebenSat.1, der „Zeit“ und anderen als „beste europäische Unternehmensmarke“ ausgezeichnet. Zudem gilt es als „beliebteste Marke im Social Web“ und nachhaltigster „Global Ranking Champion 2019“.

Seine hohe Reputation hat sich der Sportartikelhersteller aus dem fränkischen Herzogenaurach nicht zuletzt mittels kluger Kommunikation erworben. Nun stehen das Unternehmen und seine PR-Strategie auch zu Recht im Zentrum der Kritik.

Eine schnelle und überzeugende Reaktion ist das A und O

Adidas hätte sich eine Menge Ärger ersparen können, wenn das Unternehmen rasch und konsequent auf die Empörungswelle reagiert hätte. Bis man sich dazu durchgerungen hat, öffentlich um Entschuldigung zu bitten und die Maßnahme vollumfänglich zurückzunehmen, ist jedoch gut eine Woche vergangen – in der Krisen-PR eine halbe Ewigkeit.

So bleibt bei Experten und Kunden der fade Nachgeschmack, der Konzern habe lediglich auf den steigenden Druck reagiert, nicht aber aus echter Einsicht heraus gehandelt.

Bei näherer Betrachtung offenbart sich eine wenig empfehlenswerte Salamitaktik. Zuerst wurde relativiert:

Den privaten Vermietern zahle man weiterhin Miete, nur den großen Immobiliengesellschaften nicht.

Dann kündigten Vorstand und Führungsebenen an, auf Teile ihres Gehalts zu verzichten – ein erstes Eingeständnis, dass Solidarität in der Krise nicht nur seitens des Staats zu erfolgen hat. Zugleich versuchte CEO Kasper Rorsted in einem Interview mit der FAZ, die Kritik herunterzuspielen („Ich gehe davon aus, Herr Scheuer hat diese Aussage gemacht, ohne alle Fakten zu kennen.“).

Nichts davon bewirkte ein Ende des Shitstorms. Hätte das Unternehmen sich bereits am nächsten Tag entschuldigt und nicht erst eine Woche und etliche verzweifelte Schritte später, wäre es sicher möglich gewesen, die Geste des Gehaltsverzichts positiv aufzuladen. So verhallt sie weitgehend unbemerkt.

Wichtig ist nicht nur das Was, sondern auch das Wie und Wo

Wer eine Krise meistern will, sollte authentisch bleiben. Adidas behandelt seine Kunden und Follower bewusst wie Freunde und setzt auf eine emotionale Ansprache.

Auf seiner Homepage hat der Konzern folgendes „Covid-19-Statement“ veröffentlicht:

„Unsere Stores mögen geschlossen sein, aber unser Herz ist weit für euch geöffnet! […] Es sind außergewöhnliche Zeiten – passt alle gut aufeinander auf! Nichts ist wichtiger als die Gesundheit unserer Familien, Freunde und Teamkollegen.“

Wer so persönlich – um nicht zu sagen pathetisch – die Kundenbindung beschwört, darf nicht plötzlich in distanziertes Marketingsprech oder gar Schweigen verfallen, wenn es heikel wird.

In seiner Entschuldigung hat der Konzern hier zwar einen angebrachten Ton gefunden („Es wird dauern, Ihr Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Aber wir werden alles dafür tun.“), unverständlich bleibt jedoch, dass die Mitteilung unpersönlich mit „Ihr adidas Team“ unterzeichnet ist – hier hätte durchaus der CEO Verantwortung übernehmen können und sollen.

Noch befremdlicher ist es, dass Adidas sich in den sozialen Netzwerken komplett wegduckt. Auf Facebook stammt der neueste Beitrag des Konzerns vom 10. März und lautet „adidas hat sein/ihr Profilbild aktualisiert“. Darunter finden sich mehr als 6.700 Kommentare wütender und enttäuschter Menschen.
Ähnlich sieht es bei Instagram aus: Knapp 1.200 Äußerungen und Boykott-Aufrufe haben sich hier unter einem Werbefilmchen des US-Teams vom 25. März gesammelt.

Eine schnelle Durchsicht legt nahe, dass adidas bislang auf keinen einzigen Kommentar reagiert hat. Warum veröffentlicht man nicht auch hier die Entschuldigung? Die Zeiten, in denen schmerzliche Wahrheiten in möglichst unauffälligen „Presse“-Unterkategorien der Konzernwebsite abgelegt wurden, sind spätestens seit Beginn der Social-Media-Ära vorbei.

Wer seine Follower und Kunden wie Freunde behandelt, sollte sich auch bei ihnen entschuldigen können – und zwar dort, wo sie sind.

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Krisen-Kommunikation, wenn Umsatz und Gewinn einbrechen